Vortrag Harry Prunk – Vorstand SIKORA AG / VDI-Fachtagung: Extrusion von Rohren und Profilen 2016
Einleitung
Bei der Herstellung von Kunststoffrohren mit großen Durchmessern und Wandstärken haben sowohl die Produktqualität als auch die Reduzierung von Materialkosten oberste Priorität. Normen und Standards definieren genau die minimal und maximal zulässigen Durchmesser und Wanddicken einer bestimmten Rohrdimension. Auch die Erkennung des Saggings spielt eine maßgebliche Rolle. Aufgrund der Vorgaben und wachsenden Ansprüche in der Rohrextrusion setzen Hersteller Mess- und Regelgeräte zur Qualitätssicherung in den Produktionslinien ein.
In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) und dem Kunststoffzentrum (SKZ) hat die Firma Sikora eine neue Technologie auf der Basis von Millimeterwellen entwickelt zur berührungslosen, präzisen Online-Messung von Innen- und Außendurchmesser, Ovalität, Wanddicken und Sagging („Absacken der Schmelze während der Erstarrung bei zu hoher Viskosität“) großer Kunststoffrohre ab einem Durchmesser von 120mm. Dank des innovativen Konzepts des Messsystems adaptiert dieses selbst die Eigenschaften der extrudierten Kunststoffe und macht eine Kalibrierung durch den Bediener überflüssig. Die Technologie ermöglicht eine Steigerung der Produktqualität und sorgt für eine erhebliche Material- und Kosteneinsparung während der Extrusion.
Technologien zur Dimensionsmessung von Kunststoffrohren während der Extrusion
Zur Qualitätssicherung bei der Produktion von Kunststoffrohren werden heute optische Verfahren wie Laser zur Bestimmung des Durchmessers oder Röntgen zur zusätzlichen Messung von Konzentrizität und Wanddicken eingesetzt. Konventionelle Techniken wie Ultraschall messen ebenfalls die Rohrdimensionen, stoßen aber funktional oft an ihre Grenzen.
Eine weitere Technologie zur Qualitätskontrolle befindet sich derzeit noch in der Erprobung. Sie arbeitet mit Terrahertzimpulsen, die ein leistungsstarker Faserlaser anregt und auf das Messgut richtet. Die Wanddicken werden aus den an den inneren und äußeren Grenzschichten reflektierten Echos bestimmt.
Millimeterwellen-Technologie für die Messung von Großrohren
In diesem Artikel wird die deutlich kostengünstigere, frequenzmodulierte Radartechnik FMCW* erläutert. Solche Systeme arbeiten im Sub-Terahertzbereich und werden bereits seit einiger Zeit in der Automobiltechnik zur Abstandsmessung eingesetzt. Sie basieren auf Halbleitertechnik, sind preiswert und in ihrer Lebensdauer praktisch unbegrenzt. Allerdings war es erforderlich, die Bandbreite der Frequenzmodulation um ein Vielfaches zu erhöhen, um das Auflösungsvermögen zu steigern. In dem gewählten Bereich von 80 bis 300 GHz werden alle Kunststoffe mit geringer Absorption durchstrahlt und können bezüglich ihrer Wanddicken gemessen werden.
In den vergangenen Jahren wurden durch die Forschung für messtechnische Anwendungen mit Frequenzen im Millimeterwellen-Bereich bereits durchschlagende Erfolge und Messgenauigkeiten erzielt. Bislang konnten die Ergebnisse allerdings noch nicht für die Schichtdickenmessung zylinderförmiger Produkte eingesetzt werden. Das neu entwickelte Millimeterwellen-Messsystem schafft die Voraussetzungen zur zuverlässigen Messung der Nennweite und des Außendurchmessers, der Ovalität und Wanddicke aller extrudierten Rohre. Ohne Kenntnis der Eigenschaften des extrudierten Materials und dessen Temperaturen misst das System sowohl die äußere Kontur als auch die Wanddicken gleichzeitig an mehreren Stellen des Umfangs. Auch die Wanddicken mehrschichtiger Rohre werden exakt erfasst. Eine Kalibrierung ist nicht erforderlich. Somit stellt das System eine Schlüsseltechnologie für die zukunftsorientierte Qualitätssicherung bei der Produktion von großen Kunststoffrohren dar.
Die Messung mittels Millimeterwellen funktioniert nach dem Laufzeitverfahren. Mehrere, über den Umfang eines Rohres verteilte statische oder rotierende Transceiver, senden und empfangen kontinuierlich frequenzmodulierte Millimeterwellen. Ein statisches System misst punktuell die Wanddicke und die Außen- sowie Innendurchmesser des Rohres. Wenn die vollständige Erfassung der Wanddicke über den gesamten Umfang des Rohres gefordert wird, kommt ein rotierender Messkopf zum Einsatz. In dieser Ausführung lässt sich auch das Sagging präzise erfassen und darstellen.
Aus dem Laufzeitunterschied der reflektierten Signale werden die Produktdimensionen bestimmt. Dabei reflektieren Grenzschichten, wie jede Vorder- und jede Rückseite eines Kunststoffes, diese Funkwellen, die vom Empfangsteil des jeweiligen Transceivers erfasst und demoduliert werden. Die Empfangssignale enthalten Informationen bezüglich der Entfernungen von Grenzschichten unterschiedlicher Materialien, das heißt über Innen- und Außendurchmesser, Ovalität, Wanddicken und Sagging. Die Messung erfolgt mit einer Genauigkeit von wenigen Mikrometern und mit einer Messrate von 250 Einzelmesswerten pro Sekunde. Nach algorithmischer Aufbereitung der Empfangssignale eines jeden Sensors stehen die gewünschten Messergebnisse quasi in Echtzeit bereit zur Anzeige aber auch zur Regelung verschiedenster Abmessungen eines Rohres. Ein angeschlossenes Prozessorsystem bietet neben einer numerischen Anzeige der Messwerte auch deren grafische Darstellung sowie umfangreiche Trend- und Statistikfunktionen.
Millimeterwellentechnologie zur Optimierung der Rohrqualität sowie Zeit- und Kosteneinsparung
Da bei der Messung mittels Millimeterwellen-Technologie Temperaturen keinen Einfluss auf das Messergebnis haben, wird das Millimeterwellen-System sowohl zur Heißmessung als auch am kalten Ende der Linie zur finalen Qualitätskontrolle eingesetzt. Unmittelbar nach der ersten Kühlung, liefert das System präzise Informationen über Innen- und Außendurchmesser, Ovalität, Wanddicke und insbesondere auch das Sagging. Die für die Messung gewählte Millimeterwellen-Technologie deckt den gesamten Bereich der Kunststoffe wie PE, HDPE, PP, PA6 etc., sowie PVC (siehe auch Bild 4) ab. Geht man davon aus, dass eine Linie, auf der Rohre mit einem Außendurchmesser von 400mm und einer Wanddicke von 27,5mm, bei einer Liniengeschwindigkeit von 0,5m/min gefahren werden, erhält der Maschinenführer bereits nach ca. 10 bis 30min präzise Messergebnisse.
Die Messung von Kunststoffwanddicken mit hohen Temperaturen mittels Ultraschalltechnologie stellt hingegen eine besondere Herausforderung dar, weil die Absorption der Schallwellen insbesondere bei hohen Temperaturen erheblich ist und daher die Messung größerer Wanddicken im Heißbereich begrenzt. Zudem ist die Genauigkeit des Messergebnisses sowohl im Heiß- als auch im Kaltbereich aufgrund der temperaturabhängigen Laufzeit des Schalls stark eingeschränkt. Ziel ist es aber, so früh wie möglich im Produktionsprozess zuverlässige und genaueste Informationen über die Rohrabmessungen zu erhalten, um gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten und unnötige Ausfallchargen zu vermeiden. Darüber hinaus ist es notwendig, frühzeitig im Produktionsprozess so nah wie möglich an die minimal zulässigen Rohr-Maße heranzufahren, um ein minimales Metergewicht zu produzieren. Die aus geringen Metergewichten resultierenden Kosteneinsparungen sind im Wettbewerb oft entscheidend. Bei der Extrusion von Kunststoffrohren haben die Materialkosten an den gesamten Herstellungskosten einen Anteil von bis zu 90 Prozent. Je nach Durchsatzleistung der Anlage, verwendetem Materialtyp und zugrunde liegender Norm liegt zwischen den minimal und maximal zulässigen Rohrabmessungen ein jährliches Einsparungspotential im einstelligen Euro-Millionenbereich.** Darüber hinaus sichert die Herstellung von genormten Kunststoffrohren eine einwandfreie Weiterverarbeitung der Rohre. Beispielsweise lassen sich Qualitäts-Rohre problemlos verschweißen. Der Einsatz eines Millimeterwellen-Messsystems führt daher sowohl zu signifikanten Zeit- und Materialeinsparungen als auch zu einem hoch qualitativen Endprodukt.
Anwendungsbereiche der Millimeterwellen-Technologie
Die Millimeterwellentechnologie eignet sich für die Messung aller Arten von Kunststoffrohren ab einem Durchmesser von 120mm bis 2.500mm und größer, die beispielsweise für die Durchleitung von Wasser, Gas, Chemikalien und Öl eingesetzt werden. Besonders interessant ist die Verwendung für Rohre aus PVC, da PVC eines der verbreitetsten Materialien für Rohre im Bau- und Versorgungsbereich ist. Für diese Anwendung liefert das Messsystem präzise Messwerte, auch für dickwandige Rohre.
Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Vermessung von gewölbten Oberflächen und Mehrschichtrohren. Während der Produktion besteht das Risiko, dass die Schmelze, die nach dem Rohrwerkzeug austritt, aufgrund der Schwerkraft nach unten fließt und dadurch die Rohrwanddickenverteilung ungleichmäßig, meist negativ, verändert.*** Dieses so genannte Sagging, wird durch das Millimeterwellen-Messverfahren erkannt. Über ein Anzeige- und Regelgerät erhält der Maschinenführer sofort Informationen über den Produktionsprozess, um gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten.
Fazit und Ausblick
Die Qualitätsanforderungen bei der Herstellung von großen Kunststoffrohren nehmen kontinuierlich zu. Normen definieren genau die Dimensionen der zu fertigenden Produkte. Die präzise und zuverlässige Qualitätssicherung von Kunststoffrohren während der Extrusion gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Mit dem Einsatz eines neuen Systems auf der Basis von Millimeterwellen-Technologie zur Heißmessung und am kalten Ende zur finalen Qualitätskontrolle lassen sich wichtige Produktparameter kontinuierlich online überwachen.
Das Verfahren ist auf die unterschiedlichsten Materialtypen anwendbar, insbesondere auch auf PVC. Sowohl gewölbte Produktoberflächen sowie Wandstärken mehrschichtiger Rohre werden erkannt und exakt vermessen. In Kombination mit Prozessorsystemen trägt die vorgestellte Millimeterwellen-Technologie zur Prozessoptimierung, Steigerung der Qualität der Rohre, Minimierung des Materialverbrauchs sowie Zeit- und Kosteneinsparung bei.
*Merrill I. Skolnik: Introduction of Radar Systems, 2nd edition. McGraw-Hill Inc., New York NY u. a. 1962, S. 68.
**http://www.kraussmaffeiberstorff.com/media/files/kmdownloadlocal/de/EXT_BR_Grossrohr_de.pdf, S. 7, 2014.
***Regel, K.: Sagging nicht erwünscht. K-Profi, Ausgabe 3-4, S. 14, 2014.